Die Plage der Politischen Philosophie

von Simon Gumprecht

 

Gibt es überhaupt etwas zu sagen? Die internationalen Superstars der Philosophie, die sich in der sogenannten Öffentlichkeit zu Wort melden, haben sich vor allem mit wahlweise Banalitäten oder Absurditäten lächerlich gemacht. Man wird sich an Agamben erinnern, der die gegenwärtige Covid-19 Pandemie mit der gewöhnlichen Grippe verglich, und die staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung als thanatische Mobilisierung der Toten diskreditierte.

Hamburg Facades, Fotoreihe, Prothese #1, 2016.
Hamburg Facades, Fotoreihe, Prothese #1, 2016.

Es wird sich zeigen, unter welchen Bedingungen der implizite Anarchismus in den Konzepten der „Biopolitik“ die „Corona-Krise“ überleben wird. Vielleicht war er schon unter ihren Opfern. Agambens Einsatz für den Anarchismus unmittelbar bevor mangelndes Staatshandeln tausenden Menschen das Leben kostete, muss jedenfalls in der Retrospektive als absurd gelten.

 

Andererseits lässt sich nicht sagen, was von dem Virus als politisches Ereignis bleibt. Žižek befürchtet einen ausbrechenden Autoritarismus, eine neue Barbarei, die gerade darum so gefährlich werden könnte, weil sie doch zum Schutz ihrer Schutzbefohlenen besteht. Möglich ist das vielleicht. Aber möglich ist vieles. Sicher ist hingegen, dass sich die politischen Institutionen wandeln werden, dass die Erfahrung eines „durchregierenden“ Staates das liberale Paradigma unserer Zeit nicht unbeschädigt lassen wird.  Žižeks Mahnung, die Zeit nach dem Liberalismus schon heute zu bedenken, wirkt angesichts der Krise, die längst zu Illiberalität zwingt, jedenfalls banal. 

 

Die Frage, ob es überhaupt etwas zu sagen gibt, bleibt damit unbeantwortet. Die Pandemie scheint zunächst die politische Philosophie zur Wiederholung zu drängen. Denn wer mit den Zeitdiagnosen der beiden Autoren vertraut ist, muss vor allem überrascht sein, wie wenig überraschend die Wortmeldungen sind. Agamben behauptet den Ausnahmezustand als Normalität, insofern er die biopolitische Autorität legitimiert, durch die der Staat schon seit Jahrhunderten seine Macht ausübt. Die gegenwärtige Pandemie wäre insofern keine Krise, sondern bloß eine Variante der gewöhnlichen Machtausübung. Er weicht nicht von seinen mittlerweile klassisch gewordenen Thesen aus seinen „Homo sacer“-Bänden ab. Und auch Žižek warnte vor der Rückkehr des durch den Liberalismus Verdrängten schon seit über einem Jahrzehnt: Ökologische Externalitäten würden zu einem Wiederaufkommen von illiberaler Autorität führen, wenn eben diese nicht schon heute politisch oder diskursiv konfrontiert würden. Sein mantraartiges Beispiel für den neuen Autoritarismus, der sich schon heute ausbreite, war dabei stets ausgerechnet China. 

 

Was sich jetzt zumindest schon sagen lässt ist, dass die Eule der Minerva erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug beginnt. Die internationalen „Public Intellectuals“ hätten wohl besser daran getan abzuwarten. Die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19 Krise lassen sich noch nicht abschätzen. Ebenso wenig die institutionellen, die kulturellen und so fort. Auch die Rückkehr zur Normalität ohne Restriktionen wird sich als eine enorme politische Aufgabe darstellen, bei der jede Entscheidung in Legitimationszwang geraten wird. Die Frage, ob die Philosophie dann etwas zu sagen hat, wird sich zu diesem Zeitpunkt erneut stellen. Und sie wird sich wieder bloß im Vollzug selbst beantworten.