Klimaprotest gegen den Impressionismus?

Über Empörungen, Gewaltlosigkeit und die Ästhetik des Radikalen

von Fabian Endemann

 

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierte sich der französische Impressionismus als Avantgarde der Moderne. Keineswegs unumstritten hatten sich die „Impressionisten“ mit einer neuen Motivwahl und Arbeitstechnik hervorgetan. Es war Claude Monet, der seine Freunde anhielt es ihm gleich zu tun, das Studio zu verlassen und in der freien Natur oder inmitten des wirklichen Lebens zu malen.‍[1] Die kritische Öffentlichkeit war darüber empört. Sie lehnte die scheinbar unvollendete und amateurhafte Ästhetik ab und musste doch nach nicht allzu langer Zeit einsehen, dass sie irrte und sich das ästhetische Bewusstsein geändert hatte. Seitdem – so die gängige Erzählung – symbolisiere der Impressionismus den Kampf gegen die Verkennung des Neuen.[2]

"Die letzte Generation" bei ihrer Protestaktion.
"Die letzte Generation" bei ihrer Protestaktion.

 

Das ist lange her, Revolutionen haben sich in und außerhalb der Kunst ereignet, und an den Mythos von damals erinnert sich wohl kaum jemand mehr. Zu lange ist der Impressionismus nicht mehr der underdog, als dass er wirklich noch für die Verkennung des Neuen stehen könnte. Heute scheint er vielmehr die Hartnäckigkeit des Vergangenen zu repräsentieren. Er steht für die Macht des Kanons einer bestimmten Kunstgeschichte und den Reichtum auf den Kunstmärkten. So findet sich impressionistische Malerei in den wichtigen Kunstsammlungen, wird prominent ausgestellt und bringt bei Auktionen horrende Geldsummen ein. Auf der Wikipedia-Liste der teuersten Gemälde findet sich schon an zwölfter Stelle eine impressionistische Malerei: Monets „Heuhaufen“ wurde am 14. Mai 2019 für etwa 110 Millionen Dollar versteigert.

 

Eben dieses Bild wurde am vergangenen Sonntag (23.10.2022) von zwei Personen der aktivistischen Bewegung „Die letzte Generation“ mit Kartoffelbrei beworfen. Die Bewegung betitelte die Intervention als solidarische Antwort auf eine ähnliche Aktion zweier Aktivist:innen der Bewegung „Just Stop Oil“ in London. Diese hatten das Bild eines anderen Spät-Impressionisten, nämlich Vincent Van Goghs Sonnenblumen mit Tomatensuppe begossen. Beide Aktionen interessieren sich aber nicht, was zunächst am Naheliegendsten scheint, für die Auswüchse des Kunstmarktes oder die Bürgerlichkeit des Kanons. Und sie richten sich auch nicht gegen impressionistische Malerei als solche. Vielmehr sind die Aktionen eine neue Form des Klimaprotests, die das Museum und seinen Bezug zur Geschichte (und damit auch zur Zukunft) symbolisch nutzt. Die Bewegungen wollen nach eigener Aussage medienwirksam auf die Gefahren des menschengemachten Klimawandels hinweisen. In der Tat verbreiteten sich die Videos der Aktionen sofort über das Internet. Schnell teilte sich das Netz in zwei Lager: hier Solidaritätsbekundungen, da Anklage. So bezeichnete etwa der Justizminister Marco Buschmann die Vorgänge als „kriminell“. Die Einen sehen in den Aktionen eine notwendige Eskalation um die Klimaziele politisch durchzusetzen, für die Anderen liegt in der Instrumentalisierung der Kunst der Skandal. "Der Streik ist skandalös, weil er gerade diejenigen behindert, die er nicht betrifft"‍[3] schrieb Roland Barthes bereits 1957 in seinen Mythen des Alltags und das gilt genauso für diese Form des Protests. Entsprechend vorhersehbar sind auch die Polarisierungen. Im Handgemenge scheint aber die eigentlich interessante Frage unterzugehen: Welche politische Bedeutung verbirgt sich hinter der Ästhetik dieses Protests? Der vorliegende Blogpost setzt bei dieser Fragestellung an und übt sich hinsichtlich einer Bewertung der Aktionen in Zurückhaltung. Er geht zudem davon aus, dass die politische Bedeutung sich nur verständlich macht, wenn einerseits die Rolle und Funktion der Museen für das kulturelle und gesellschaftliche Leben miteinbezogen wird und andererseits der Performance Charakter der Aktionen selbst Berücksichtigung findet.

 

Zunächst einmal scheint es kontraintuitiv zu sein, ausgerechnet den Raum des Museums als Ort eines politischen Kampfes gegen den Klimawandel und für eine andere Ökonomie und Ökologie auszuwählen. Museen sind weder bekannt als besondere Klimasünder, noch stehen sie heutzutage für kapitalistische Expansion und Naturzerstörung. Im Gegenteil macht das Museum Werke öffentlich und allgemein zugänglich. Es präsentiert Sammlungen statt wegzuwerfen und unterläuft einen individualistischen und privatisierten Begriff von Eigentum. Mit dem Soziologen Hartmut Rosa lässt sich die Institution Museum in der modernen Gesellschaft gar als eine Gegen-Institution verstehen. Rosa beschreibt die Moderne als ein nie enden wollendes Projekt des Wachstums und der Verfügbarmachung von Welt. Die unverfügbaren, nicht planbaren und in diesem Sinne auch anti-ökonomischen Zufälle, also all das, was sich eben nicht verfügbar machen lässt, zugleich aber das gute Leben ausmacht und alles Weitere erst ermöglicht – so seine Gegenwartskritik – hat keinen Ort mehr. Doch es wird nicht bloß das gute Leben unmöglich, sondern ebenso führt von diesem Grundparadox der Moderne ein direkter Weg zu den zerstörerischen Lebensweisen unserer Gesellschaften. Das Museum hingegen müssten wir uns wie eine unberührte Insel vorstellen. Es sei

 

ein Ort, an dem wir in der Regel keinen instrumentellen Zweck verfolgen, an dem wir habituell mit den Dingen in einen Kontakt kommen wollen, der nicht auf Steigerung und Verfügbarmachung, sondern auf unerwartete bzw. unvorhersagbare Resonanzen hin angelegt ist, an dem wir innerlich bereit und offen sind, uns anrufen zu lassen.‍[4]

 

Mit diesem Begriff des Museums könnte man einen ersten Widerspruch in den Aktionen des Klimaprotests ausmachen. Sie richten sich gegen eine Institution, die sich tendenziell der Logik von Wachstum und Verfügbarmachung entzieht und mit der man im Kampf gegen den Klimawandel gerade deshalb eine Koalition eingehen müsste. Nur, so richtig der Ausgangspunkt dieser Kritik ist, so wenig trifft sie ihren Gegenstand. Die Aktionen richteten sich nämlich nicht wirklich gegen die Kunst und die Museen. Zumindest waren sie nicht dazu bestimmt, ihnen Schaden zuzufügen. Die betroffenen Museen haben kurze Zeit nach den Aktionen Mitteilungen herausgegeben, dass die Bilder, von Glasscheiben geschützt, keinen Schaden genommen haben. Und auch den Aktivist:innen muss man unterstellen, dass sie von der Verglasung der Gemälde wussten. Aber lässt uns dieser Umstand nicht noch ratloser (wenn diese Steigerung hier erlaubt ist) zurück? Wie ist der Protest dann noch zu verstehen? Bliebe dann nur noch die Symbolik des Museums, das für unsere Geschichtlichkeit steht? Wäre das nicht eine oberflächliche und nahezu inhaltsleere Form von Protest kombiniert mit harmloser Gewaltlosigkeit? Und ist es nicht eben diese Kombination, die zwar gut im Internet funktioniert, die sich aber auch dem Vorwurf aussetzt, wohlfeil zu sein?

 

Nun wäre die Einordnung der Aktionen von „Just Stop Oil“ und der „Letzten Generation“ als inhaltsleerer Protest aber vorschnell. Denn es gibt ein weiteres Element der Aktion, das bei der Frage ihrer Bedeutung eine wichtige Rolle spielt und in einem direkten Zusammenhang mit der Institution des Museums steht, und zwar ihr Performance-Charakter. Die Ironie der Aktion besteht darin, dass sie, ob freiwillig oder unfreiwillig, selbst Aktionskunst sein könnte, zumindest als eine solche verstanden werden kann. Wenn die beiden Protagonist:innen später über ihre Bewegung verkünden lassen, es gehe darum zu entscheiden was mehr wert sei, „Kunst oder Leben“, dann haben sie diese Dichotomie schon selbst unterlaufen. Die nachträglich aufgemachte Diskrepanz zwischen dem Luxus der Kultur und dem nackten Leben polemisiert gegen die künstlerische Form der eigenen Aktion. Denn es lässt sich auf der Ebene der Form nicht wirklich sagen, ob die Intervention nicht selbst als Kunstaktion zu gelten hat, so wie man nicht wirklich sagen kann, ob Lips of Thomas von Marina Abramović noch Kunst ist, wenn die Beteiligten sich genötigt fühlen, die Performance-Künstlerin von ihren selbstverletzenden Handlungen abzuhalten.‍[5]

 

Wir machen uns etwas vor, wenn wir so tun, als könnten wir hier zwischen den Sphären der Kunst und des politischen Lebens, zwischen Protest-Kunst und Kunst-Protest klar unterscheiden. In Wirklichkeit können wir das nicht. Das gilt nicht nur vor dem Hintergrund der Verflüssigung des Kunstbegriffs, sondern vor allem auch angesichts der Neubestimmung der Institution Museum in den letzten Jahrzehnten. Das Museum selbst ist zu einem Ort geworden, an dem die Grenzen der Kunst austariert und ausgehandelt werden. Es dient als Ort für Festivals, Performances oder Diskussionen. Natürlich ist es auch noch Ort klassischer Ausstellungen. Aber die tatsächlichen Veränderungen der gesellschaftlichen Rolle des Museums weichen doch von der idealistischen Vorstellung vom Museum als einer unberührten Insel im Meer einer zerstörerischen Gesellschaft, wie es bei Rosa anklingt, stark ab. Das Museum hat sich längst von dieser Neutralität losgesagt, ist Artikulationsraum von Gesellschaftskritik geworden, von eben solcher Gesellschaftskritik, die uns bei den Aktionen des Klimaprotests begegnen. So schreibt César Rendueles über die Rolle der Kritik im Museum:

 

In einem Museum ist es fast schon obligatorisch, radikale politische Positionen zu vertreten: Mir sind in Texten zur zeitgenössischen Kunst sehr viel mehr provokante Zitate von Michel Foucault begegnet als an der Fakultät für Philosophie. In Kunsthallen gehören revolutionäre Brandreden und ausgeklügelte Reflexionen über die sexuelle Identität obligatorisch zum guten Ton, sie sind wie die Teakholz-Möbel ihrer Cafeterien Teil der Einrichtung geworden.‍[6]

 

Das mag man begrüßen. Für Rendueles ist mit der Transformation aber auch eine Enttäuschung verbunden. Das Museum sei zwar zu dem Ort der Kritik geworden, jedoch ohne dass hiervon praktische Veränderungen ausgingen. Es habe nicht einmal „verhindern können, dass sich der sogenannte »Kulturbereich« in ein Dispositiv der Unterordnung verwandelt hat, in eine kritische Gewürzmischung, die die allgemeine Akzeptanz der sozialen Ungleichheit aromatisiert.“‍[7] Die Ökonomie, so könnte man es zusammenfassen, hat noch das Museum als Ort der radikalsten Kunstformen und Kritiken in ihren Kreislauf assimiliert: die Feier der Brüche und Exzesse ist Teil eines bruchlosen ökonomischen Kunstbetriebs geworden. Das Museum hat die Kritik zum Selbstverständnis erhoben und damit sogleich verschliffen. Insoweit ist das Museum auch ein problematischer Ort der heutigen gesellschaftlichen Konstellation. Dieser Ort ist gewissermaßen ein "wunder Punkt" unseres Verhältnisses zu Kritik und Protest, zumindest insofern, als es darin besteht, letzteren einen festen Ort zu geben, ihnen gar einen bestimmten Platz zuzuweisen.

 

Vor diesem Hintergrund stellt sich der Klimaprotest im Museum als eine vielschichtige Intervention dar, die neben dem Bezug zu unserer Geschichtlichkeit vor allem auch das Verständnis von Kritik und Protest selbst betrifft. Darin liegt die Provokation, die Sichtbarkeit verschafft, die den Protest aber zugleich vor eine besondere Herausforderung stellt: einerseits kann er, hebt er sich nicht von der Protestkunst ab, seine Dringlichkeit verlieren und andererseits muss er, um sich abzuheben, eine gewisse Radikalität unter Beweis stellen und läuft damit Gefahr in die Nähe eines Extremismus zu gelangen. Anders formuliert: die Aktionen müssen Dringlichkeit erzeugen ohne Extremismus zu bedienen. Diese Herausforderung kennzeichnet aber nicht nur speziell den Klimaprotest im Museum, sondern stellt eine generelle Schwierigkeit und Unmöglichkeit dar, mit der er konfrontiert ist.

 

Vielleicht ist hier die Antwort auf die Frage der politischen Bedeutung der Aktion verborgen. Der springende Punkt könnte darin liegen, dass die Aktion gewaltlos verlief, und in diesem Sinne auch nicht radikal ist. Gleichzeitig bedient sie eine Ästhetik des Radikalen, die herausfordernd und empörend auf uns wirkt. Sie provoziert affektive Tweets, wie solche des Justizministers, die für die, auch diskursive, Unbeherrschbarkeit und Emergenz der Aktion stehen – ein Merkmal, das für Erika Fischer-Lichte die "Ästhetik des Performativen"‍[8] kennzeichnet. Die Aktion eröffnet so affektiv einen Diskurs und bringt sich selbst ins Gespräch. Zugleich antwortet die Gewaltlosigkeit auf die besondere Herausforderung des Klimaprotests: Dringlichkeit zum Ausdruck zu bringen und dabei Extremismus zu vermeiden. Der Protest weist derart über die Forderung nach Klimamaßnahmen hinaus. Mit der Kombination von Gewaltlosigkeit und einer Ästhetik des Radikalen setzt er noch die Schwierigkeit und Unmöglichkeit des Klimaprotests selbst in Szene.


Fußnoten

  1. Vgl. Ernst H. Gombrich: The Story of Art, S. 397.
  2. Vgl. ebd., S. 402.
  3. Roland Barthes: Mythen des Alltags, S. 171.
  4. Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit, S. 65.

  5. Siehe insoweit die Schilderung der Performance Lips of Thomas von Marina Abramović in Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S. 19ff.
  6. César Rendueles: Gegen Chancengleichheit, S. 294.
  7. Ebd., S. 289.
  8. Vgl. Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S. 284ff.

*Der Essay wurde zuletzt am 31.10.2022 überarbeitet.