What Is One-Love-Binde? Baby Don’t Hurt Me.

von Robert Weitkamp

 

Als ich in der Pubertät war, so mit 13 oder 14, waren meine Freund*innen und ich Punks. Als Punk muss man provozieren, sonst ist man kein Punk. Deshalb wollte eine*r von uns Punks dringend mit einem T-Shirt in die Schule gehen, das genau diese Provokation versprach: Es war knallrot, auf der Brust ein weißer Kreis, darin ein schwarzer Galgen. Darunter stand: “Dem deutschen Volke”, darüber der Name der Band: “Terrorgruppe”. Geil!

Bild: Prothese Magazin
Bild: Prothese Magazin

Da gab es nur ein Problem: Mit 13 oder 14 ist man nur ein beschränkt geschäftsfähiger Punk. Das letzte Wort hatten die Eltern. So blieb nicht mehr als ein - zwar mühsam erkämpfter, aber in der Hauptsache auf ganzer Linie verlorener - Kompromiss. Das T-Shirt durfte in der Schule getragen werden, jedoch unter der Bedingung, dass Teile des Texts abzukleben waren. So stand ein einsames “Volke” neben einem Streifen Klebeband. In der Schule angekommen, war dieses zensierte T-Shirt dann aber doch so peinlich, dass der junge, aufstrebende Punk lieber den ganzen Tag die Jacke anließ.

 

Etwas ähnliches mussten Ende letzten Jahres die deutsche Fußballnationalmannschaft der Herren und sechs andere Mannschaften erleben: Sie hatten sich verabredet, gemeinsam eine “One-Love-Binde” zu tragen, ihre Rechnung aber ohne den FIFA-Weltverband gemacht. Nach einem Verbot der Binde durch den Verband hat letztlich kein Verband die Binde getragen. Etwas hilflos setzte die deutsche Mannschaft aber noch ein stilles Zeichen gegen die Zensur: Vor dem ersten Auftaktspiel gegen Japan hielten sich die Spieler beim Mannschaftsfoto die Hand vor den Mund. Ziemlich genau so wie der junge Punk damals, der einen Tag lang mit der Jacke in der Schule saß und schwieg.

 

“One Love” - ein Nicht-Symbol

 

Zunächst eine Klarstellung: natürlich symbolisierte die angelassene Jacke keinen stillen Protest und sie war schon gar nicht Punk. Und ebenso war der stille Protest der Nationalelf keine gelungene Gegenaktion. Protest hätte bedeutet, die Binde trotzdem zu tragen. Eben ganz im Sinne der Liebe, denn diese widersetzt sich ja bekanntlich ebenfalls dem Diktat.

Dass diese “One-Love-Binde” schon an sich aber kaum zum Protest taugt, das lässt sich zudem an ihrer Entstehungsgeschichte zeigen. Im vergangenen September kündigten insgesamt sieben Fußball-Nationalverbände an, dass die jeweiligen Kapitän*innen ihrer Nationalmannschaften bei der Weltmeisterschaft in Katar mit einer sogenannten “One-Love-Binde” auflaufen wollen. Auf der Binde: bunte Farben, ein Herz und die Aufschrift “One Love”. Statt der viel bekannteren Regenbogenfahne, die als Symbol der Solidarität mit der LGBTQI+-Bewegung getragen wird, entschied man sich für die neue und insoweit auch symbolisch unbesetzte sogenannte “One-Love-Binde”. Auch wenn die Regenbogenfahne mittlerweile für vieles herhalten muss, wäre sie doch ein nennenswertes und im Kontext einer Weltmeisterschaft in Katar auch riskantes politisches Symbol gewesen.

 

Die Vermutung liegt nahe, dass sie gerade deshalb eingetauscht wurde. Die “One-Love-Binde” konnte dann wahlweise als eine “Antidiskriminierungsbotschaft gegen Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus, für universelle Liebe und Gleichheit” (watson.ch), “ein Zeichen gegen Homophobie, Antisemitismus und Rassismus sowie auch für Menschenrechte und Frauenrechte” (stuttgarter-nachrichten.de) oder “ein Zeichen gegen die Ausgrenzung der Personen der LGBTQ+-Community (...) sowie gegen Rassismus und Antisemitismus” (ran.de) verstanden werden. Ein seltsam diffus-leeres von-allem-etwas, zusammengefasst unter dem Slogan “One Love” - ein Nicht-Symbol.

 

“Look for me in the whirlwind” - Die Geschichte von “One Love”

 

“One Love”, was genau soll das überhaupt heißen? Ein kurzer Blick in die Vergangenheit lohnt hier: Der Ausdruck “One Love” scheint seinen Weg auf die Hippiemärkte von Ibiza bis Paderborn als Songtitel begonnen zu haben: Die Botschaft lässt sich zunächst auf den gleichnamigen Welthit von Bob Marley aus dem Jahr (1977) zurückführen. Allerdings stammt der titelgebende Ausspruch nicht von Marley selbst, sondern geht auf den jamaikanischen Aktivisten Marcus Garvey zurück, der seine aus den frühen 1920er Jahren stammende Rede “Look for me in the whirlwind” mit den Worten “ONE LOVE” beendete. Nelson Mandela beschrieb Garveys Standpunkt als “ultrarevolutionär” (Mandela 1973, 19–20). Als radikaler Afrozentrist sprach sich Garvey für einen black nationalism auf afrikanischem Boden aus. In eben jener Rede sagt Garvey:

 

“For two hundred and fifty years we have struggled under the burden and rigors of slavery. We were maimed, we were brutalized, we were ravaged in every way. We are men. We have hopes, we have passions, we have feelings, we have desires, just like any other race. (...) it is for YOU to come together and give us a United States of Africa.” (Marcus Garvey: 'Look for me in the whirlwind')

 

Die Spur des Zitats führt also zu einer politischen Radikalität in einem konkreten Kontext. Der “One-Love”-Universalismus à la Marcus Garvey ist kaum zu verstehen ohne den revolutionären Partikularismus eines “United States of Africa”. Hingegen stellt sich die “One-Love”-Binde außerhalb jedes Kontextes. Sie ist, wie es unlängst der Bundestrainer der deutschen Hockey Nationalmannschaft genannt hat, eine “weichgespülte Kompromisslösung” ohne Vergangenheit.

 

Liebe als Widerfahrnis und Geburt der Welt

 

Seiner Radikalität entzogen und als Ideal für irgendwas degradiert, erinnert das “One Love” hier in seiner Beliebigkeit an die Kalendersprüche bunter Polit-Sharepics  auf Instagram, deren vermeintlich progressiver Inhalt bei etwas genauerem Hinsehen schnell zu einem naiven “Och menno, warum können sich nicht einfach alle lieb haben?” zusammenschrumpft. Darin liegt ein fundamentales Missverständnis der Liebe selbst. Sie taugt nicht als universelle Waffe, unabhängig vom Kontext. Sie ist noch nicht einmal- wie es am Ende des Films “Everything Everywhere All at Once” (Kwan, Scheinert. 2022) anklingt - ein gutes Mittel gegen den Strudel der Kontingenz.

 

Die Liebe kommt von Anderswo. Sie lebt von den situativen und kontingenten Widerfahrnissen, die uns passieren, statt dass wir über sie Kontrolle hätten. So liegt für den Philosophen Bernhard Waldenfels der entscheidende Punkt darin, dass “die Liebe auf kein festes Ziel zustrebt und sich keinem Gesetz beugt.” Im Gegenteil muss sie sich in gewisser Weise immer wieder gegen eine solche Instrumentalisierung verteidigen. So stellt Waldenfels weiter fest: “Das Störende und Verstörende, das der Liebe innewohnt (...) verleitet seit eh und je dazu, (...) sie auf die wechselnden Ziele (...) des Nutzens oder des Guten” auszurichten (Waldenfels 2006, 234).

 

Es fällt nicht schwer, nach dem Gesagten den grundsätzlichen Fehler in der Idee der “One-Love”-Binde zu finden: was sie alles sein und werden sollte - Botschaft gegen X, Zeichen für Y - musste scheitern. Die “One-Love”-Binde macht einen fatalen Fehler: als Politik der Liebe versteht sie sich nur noch von ihren Mitteln und Zwecken her. Stattdessen ist die Liebe genau andersherum zu verstehen. Nicht als Mittel zum Zweck, der mir - wie jeder Zweck - vorher schon bekannt ist, sondern als Möglichkeit eines Unterschieds, einer “Geburt der Welt”, wie es Alain Badiou in “Lob der Liebe” beschreibt (2015, 29). Ansonsten geht es uns mit der Liebe nicht anders als dem bedauernswerten Narziss aus der griechischen Mythologie, der ausschließlich sein eigenes Spiegelbild liebt und daran zugrunde geht.

 

Und wenn die Binde unbedingt nach einem Song benannt sein muss, wie wäre es mit einer “What-is-love?-Baby,-don't-hurt-me-Binde”? Denn: what is love? Da wo eine Frage auftaucht, sind die Dinge offen, in der Schwebe, noch keinem Zweck unterworfen. Ohne sie vorher vereinnahmen zu können, kommt die Liebe von Anderswo und widerfährt mir. Dabei ist - wie im Punk - nichts auszukonsensuieren. Baby, don't hurt me!


Literatur

Badiou, Alain (mit Nicolas Truong): Lob der Liebe, Passagen Verlag, Wien 2011.

Garvey, Marcus: Freedom speech - (circa) 1924; speakola.com, aufgerufen 21.12.22.

Mandela, Nelson (Red. Ruth First): No Easy Walk to Freedom. African Writers Series No 123, Heinemann, London 1973, S. 19–20.

Waldenfels, Bernhard: Schattenrisse der Moral, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006.