„Women no longer cry, women make money”

Über feministische Disstracks unserer Gegenwart

von Juliane Ostermoor

 

Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling? Die Musikerinnen Miley Cyrus und Shakira beweisen aktuell das Gegenteil, indem sie gekonnt ihre Ex-Beziehungen inszenieren und damit äußerst erfolgreich sind. Das neue Motto lautet: „Women no longer cry, women make money“.

Screenshot aus „Bzrp music sessions Vol #53: Shakira".
Screenshot aus „Bzrp music sessions Vol #53: Shakira".

Gegenwärtig scheinen die Macher*innen von Popmusik sich auf ein Leitmotiv geeinigt zu haben: den Rosenkrieg. Am 13. Januar 2023 veröffentlicht Shakira gemeinsam mit dem argentinischen DJ und Produzenten Bizarrap die „Bzrp music sessions Vol #53: Shakira“. Shakira besingt mit viel Selbstbewusstsein die Gründe, warum ihre Ehe mit dem ehemaligen Profifußballspieler Gerard Piqué gescheitert ist: „Tanto que te las das de campeón / Y cuando te necesitaba diste tu peor versión“ (deutsch: So oft, dass du vorgabst, ein Champion zu sein / Und als ich dich brauchte, warst du deine schlechteste Version). Nur vier Wochen später erscheint der Track „Flowers“ von Miley Cyrus, der ebenfalls ihre gescheiterte Ehe mit dem Schauspieler Liam Hemsworth beschreibt: „I can love me better than you can“. Shakiras Song generiert innerhalb von 24 Stunden 14,4 Millionen Streams auf Spotify und stellt damit einen neuen Rekord für die spanischsprachige Musik dar (Spotify). „Flowers“ ist ebenfalls laut Spotify der am häufigsten innerhalb einer Woche gestreamte Song in der Geschichte des Anbieters (Dürrholz, 2023). Auf den ersten Blick beweisen diese Songs, dass klassische Disstracks (Skrobala, 2023) durchaus einen kommerziellen Nerv treffen – entgegen dem üblichen Schema dissen hier jedoch Frauen namentlich bekannte Männer.

 

Auch ästhetisch bedient das Musikvideo von Shakira das Motiv der süßen Rache. Infantil inszeniert sie sich wie ein Teenager, von farbigen LEDs beleuchtet, ganz in TikTok-Manier: permanente Einstellungswechsel, die so typisch gestenreiche Choreografie, lange Neon-Fingernägel und ein Hintergrund, der wie ein improvisiertes Studio im alten Partykeller der Eltern wirkt. Die amateurhafte Stop-Motion Bleistift-Animation der Sängerin, die zeitweilig in das Video geschnitten ist, lässt unwillkürlich an alte Tagebucheinträge denken. Durch die übertriebene Zurschaustellung ihrer vermeintlichen Jugendlichkeit wirkt Shakira wie die 22-jährige Parodie ihrer selbst. Auch Madonnas neues, faltenfreies Gesicht, das dank merklicher chirurgischer Eingriffe dem neuen Social-Media-Beautyface gerecht wird, geht auf diese ironische Weise mit dem der Branche inhärenten Imperativ der Jugendlichkeit um. So übertrieben, wie das Ideal der ewigen Jugend bedient wird, wird es auch subversiert und kenntlich gemacht. (Butler, 1995)

 

Auf den ersten Blick scheinen sich Shakira und Cyrus mit ihren Zeilen „started to cry but then remembered, I can buy myself flowers“ und „las mujeres y no lloran, las mujeres facturan“ (deutsch: Frauen weinen nicht mehr, Frauen rechnen ab) gegen das von ihrer Kollegin Taylor Swift gezeichnete Bild der verlassenen Frauen zu richten: In ihren Musikvideos trauert Swift tränenverschmiert Männern hinterher (z.B. in „Blank Space“ oder „White Horse“). Ein weiterer Vergleich zwischen den Sängerinnen zeigt ebenfalls, wie sehr sich die mediale Reaktion auf Frauen, die mit der künstlerischen Aufarbeitung ihrer Verflossenen kommerziellen Erfolg haben, gewandelt hat. Während Swift 2013 viel Kritik für ihren Kommentar erntet, sie hätte ihrem Ex Harry Styles und dessen Trennung von ihr den Grammy zu verdanken, werden Shakira und Cyrus 2023 für ihre erfolgreichen „Oden ans Single-Leben“ gefeiert (vgl. Klein, 2023).

 

Auf den zweiten Blick liefern die stilistische Novi des Genres „Diss-Track“ Auskunft über Vergegenwärtigungen des aktuellen feministischen Diskurses. Der Erfolg dieser Songs kann somit als exemplarisch für einen neuen gesellschaftlichen Umgang mit Frauen, die Männer künstlerisch beleidigen, stehen.

 

Im verbalen Boxring teilt Shakira harte Fäuste aus: Mit gekonnten Wortspielen baut sie die Namen ihres Verflossenen und seiner neuen 22 Jahre alten Freundin Clara Chía Martí so ein, dass klar ist, wem der Diss gilt: „Tiene nombre de persona buena / Claramente“ (deutsch: „Sie trägt den Namen einer guten Person / Offensichtlich“) und: „Yo solo hago música, pedrón que te salpique“ (deutsch: Ich mache nur Musik, entschuldige, dass ich dich damit beflecke). Auffällig ist dabei, dass Shakira darauf verzichtet, „die Neue“ zu dissen. Ihr Fokus liegt eindeutig auf der Abgrenzung zu ihrem Ex-Mann: „Ah mucho gimnasio / Pero trabaja el cerebro un poquito también“ (deutsch: Ah, so viel Sport, aber ein bisschen Gehirntraining würde dir auch guttun). Mit den Zeilen „Una loba como yo no está pa novatos / una loba como yo no está pa tipos como tú“ (deutsch: eine Wölfin wie ich ist nichts für Anfänger, eine Wölfin wie ich ist nichts für Typen wie dich) referenziert sie sich selbst und spielt auf ihren Hit „She-Wolf“ aus dem Jahr 2009 an. Diese Referenz evoziert Bilder von Shakira in einem glitzernden Uterus tanzend und ihre sexuelle Unbefriedigtheit besingend; Bilder von Shakira als Wölfin, die bei Vollmond Jagd auf Männer macht. Mit diesem Text positioniert sie sich hierarchisch über Piqué und impliziert, dass er ihr nicht gewachsen ist. Wie groß Shakiras Ego tatsächlich ist, wird im weiteren Verlauf des Songs noch deutlicher: „Yo valgo por dos de 22 / Cambiaste un Ferrari por un Twingo / Cambiaste un Rolex por un Casio“ (deutsch: Ich bin zwei 22-Jährige wert / Du hast einen Ferrari gegen einen Twingo getauscht / Du hast eine Rolex gegen eine Casio getauscht). In dieser Passage greift Shakira das Gefühl auf, gegen eine jüngere Frau „ausgetauscht“ zu werden. Allerdings tut sich ein Spannungsfeld zwischen der ersten und den letzten beiden Zeilen auf: Shakira ist 45 Jahre alt, also tatsächlich doppelt so alt wie Martí. Damit kehrt sie das misogyne Narrativ, dass ältere Frauen „nichts mehr wert“ seien, um. Shakira vergleicht sich mit teuren Luxusgütern, die vor allem Männer in einer heteronormativen Gesellschaft als Statussymbol bezeichnen, während sie Martí mit günstigen Produkten für weniger kaufkräftige Schichten in Verbindung bringt. Einerseits kann der Vergleich von Frauen mit Konsumgütern und die damit verbundene Objektifizierung, wohl kaum als feministisch gewertet werden. Andererseits schafft Shakira es, das jouvelistische Schönheitsdiktat der Musikindustrie infrage zu stellen, indem sie durch eine subversive Darstellung ihres eigenen Alters selbstbewusst eine Machtposition für sich beansprucht.

 

Cyrus‘ Rosenkrieg wirkt verglichen mit Shakiras punchlines deutlich weniger dramatisch, was darin begründet sein könnte, dass hier nicht der hispanische Kulturkreis mit seinen saftigen Soaps als Adressat fungiert. Ohne konkrete Namensnennung und mit einem eher allgemein gehaltenen Text wird der Song „Flowers“ erst durch den Kontext des Musikvideos als Diss verständlich: Ein goldenes Revenge-Dress[1] von Yves Saint Laurent‍[2] setzt den Ton, dass Frauen sehr wohl in Männerrollen schlüpfen dürfen. Und auch Cyrus trägt im weiteren Verlauf einen Hosenanzug, allerdings nicht irgendeinen: Es soll der Anzug sein, in dem ihr Ex-Mann Liam Hemsworth ihr vor laufender Kamera ins Ohr raunte, dass sie sich doch bitte benehmen solle, for once. Cyrus beansprucht diesen Anzug nun im Musikvideo für sich und zeigt somit klar, dass sie sich so benimmt, wie sie es will: wild tanzend, viel nackte Haut, „ungezogen“. Und auch musikalisch lässt „Flowers“ an das bei der Hochzeit der beiden gespielte „When I was your Man“ von Bruno Mars denken. Cyrus dreht Reimschemata um, verweist durch gleichen Rhythmus und ähnliche Melodie klar auf den Song von Mars und verschafft sich mit dem Song die Deutungshoheit über die gescheiterte Beziehung.

 

Beiden Songs gelingt es, die eigene Person in den Vordergrund zu rücken. Der Fokus verschiebt sich entgegen der Norm des Genres vom gedissten Gegenüber auf die Interpretinnen. Die Hits starten zwar jeweils mit Gefühlen wie Verletzung, Enttäuschung oder Traurigkeit, rücken die Künstlerinnen aber nicht in eine Opferrolle. Denn: Beide Sängerinnen schaffen wortwörtlich mit ihren Stimmen ein eigenes Universum an Codes und Referenzen rund um ihre Verflossenen, von denen sie betrogen oder „ausgetauscht“ wurden. So können die Songs als künstlerische Ausdrucksformen verstanden werden, die trotz sprachlicher und kultureller Unterschiede auf fast identische Inhalte in sehr ähnlicher Weise Bezug nehmen, und somit gegenwartsdiagnostisches Potenzial tragen (Alkemeyer u.a. 2019).

 

Beobachtend lässt sich feststellen: 2013 kritisiert die mediale Öffentlichkeit Taylor Swift noch stark dafür, dass sie immer wieder weinerlich über ihre Ex-Boyfriends singt und klebt ihr dafür Etikett einer Mainstream-Heulsuse auf. Im Kontrast dazu werden 2023 Sängerinnen, die sich mit ihren Disstracks gegen berühmte Männer richten, für die Kommodifizierung des Privatlebens auf ein feministisches Podest gehoben. Und während sich Shakira und Cyrus als Gewinnerinnen des jeweiligen Rosenkriegs inszenieren, kann zumindest auch die „Verliererseite“ Profit aus dieser Vermarktung ziehen: Piqué schließt auf die Anspielungen in Shakiras Song hin neue Werbeverträge mit Casio und Renault ab.

 

Diese absurde Entwicklung bekräftigt den Gedanken, dass hier feministische Positionen im Sinne von Selbstbehauptung und Aneignung nicht mehr nur als der Kunst inhärenten Objekte zum Ausdruck kommen, sondern sie durch ihre kommerzielle Machtposition vielmehr selbst als Quasi-Akteure beteiligt sind. Zugegebenermaßen brechen Cyrus und Shakiras eindrucksvolle Stimmen mit der Erwartung an Frauen, patriarchales Verhalten wie Erziehungsversuche und Schönheitsideale kommentarlos hinzunehmen. Beide Frauen lehnen zwar erfolgreich die heteronormative Opferrolle der verlassenen Frau ab, sähen aber auch Zweifel am eingeschlagenen Weg. So wird das feministische Stilmittel des Disstracks durch die kommerzielle Überbelichtung wie auf einer Fotografie zu einem „Blank Space“ bei dem letztlich unklar bleibt, was wir zu sehen bekommen.


Fußnoten

  1. Ein Begriff, der das schwarze und „too deering“ Kleid von Stambolian meint, in dem Lady Diana bei einer Gala 1994 auftrat, kurz nachdem Prince Charles öffentlich von seinen Affären während seiner Ehe mit ihr erzählte.
  2. Yves Saint Laurent geht als der Designer in die Modehistorie ein, der als erster den Smoking und Hosenanzug in die Damenoberbekleidung einführt. Bis dato galten diese Kleidungsstücke als ausschließlich der männlichen Trägerschaft vorbehalten.

Literatur

Alkemeyer, Thomas, Nikolaus Buschmann und Thomas Etzemüller, Hrsg.: Gegenwartsdiagnosen. Kulturelle Formen gesellschaftlicher Selbstproblematisierung in der Moderne. 2019, Bielefeld.

Butler, Judith: Körper von Gewicht, 1997, Suhrkamp.

Dürrholz, Johanna: „Der Siegeszug der Single Ladies“, FAZ Online, 02.02.23, abgerufen am 27.02.23 unter: https://www.faz.net/aktuell/stil/trends-nischen/flowers-von-miley-cyrus-hymne-aufs-alleinsein-und-bricht-rekorde-18646183.html

Klein, Christina: „Heul nicht und bettel nicht“ – Endlich haut mal eine Promifrau auf ihren Fremdgänger-Ex drauf“, Stern, 17.01.23, abgerufen am 09.02.23 unter: https://www.stern.de/lifestyle/leute/shakira-diss-track--endlich-haut-mal-eine-auf-ihren-fremdgaenger-ex-drauf-33107400.html

Skrobala, Jurek: „Rache ist Süß“, Spiegel Online, 17.01.23, abgerufen am 27.02.23 unter: https://www.spiegel.de/kultur/musik/diss-tracks-von-shakira-und-miley-cyrus-rache-klingt-suess-a-da283a89-9dcd-4046-a01d-40346e0ba2b5